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Frei Schnauze – „Unkinected“ oder „kritischer Herbst 2.0“

Kinect steht im Laden, beziehungsweise schon vielfach bei den (neuen) Xbox 360 Besitzern zu Hause. Die 500 Millionen US Dollar Marketingbudget scheinen sich für Microsoft auszuzahlen: Die Verkaufserwartungen wurden von drei auf fünf Millionen Einheiten bis Jahresende erhöht, bei Amazon.de ist Kinect immer wieder ausverkauft – Es riecht schon stark nach Erfolg.

Ja, das Spieleangebot am Anfang besteht größtenteils aus Minispielsammlungen die den geneigten Kunden erst einmal langsam an die neue Steuerung heranführen, aber führte nicht auch bei der Wii der Weg über WiiSports und WiiPlay zu Spieleperlen wie Super Mario Galaxy, Epic Mickey, No more Heroes oder  Monster Hunter Tri?

Es ist daher nicht erstaunlich, dass die ganze Spielepresse zwar die momentan fehlenden „richtigen“ Spiele kritisiert, aber Kinect für die gelungene Umsetzung des neuartigen Konzeptes lobt, viele Seiten finden sogar an einigen der Starttitel gefallen, so können Dance Central, Your Shape und Kinectimals fast durchweg gute bis sehr gute Wertungen einheimsen.

Die ganze Spielepresse? Nein, nicht ganz. Es gibt da ein kleines gallisches Dorf mit Namen „FÜRspieler“ im Norden unserer Republik, genauer in Hamburg, das sich vehement der „Kinectisierung“ widersetzt. Und das nicht etwa gegen den Trend sondern bereits von Anfang an.

Während nach der ersten E3 Präsentation 2009 mit Milo & Kate noch (unter dem Namen Natal) weltweit Begeisterung und Faszination für die neuen Möglichkeiten vorherrschte sprach man bei „FÜRspieler“ nur Abwertend von Eyetoy 2.0, während nach einhelliger Meinung der Fachpresse Microsoft mit Natal den Höhepunkt der E3 2009 bot sprach man in Hamburg von einer uninspirierten und enttäuschenden Präsentation.

Diese sehr exklusive Meinung zog sich über die letzten knapp eineinhalb Jahre durch die Berichterstattung: Jede neue positive Meldung wurde äußerst kritisch betrachtet, jedes negative Gerücht (kein erkennen im Sitzen, keine Spracheingabe) ungeprüft frenetisch als Fakt und Beweis der eigenen hellseherischen Fähigkeiten präsentiert.

In den letzten Tagen vor dem deutschen Verkaufsstart lief man dann zur Höchstform auf: Kein Tag ohne negative Meinung oder Meldung, in einem mehrteiligen Special wurden Kinect und das Konkurrenzprodukt Sony Move gegenübergestellt. Damit dieser Vergleich auch ja schlecht für Kinect ausgeht wurde auch an allen Ecken und Enden getrickst:

  • Der Preis für zwei Spieler ist bei Sony höher da man neben einem zweiten Move Controller auch einen zweiten Sony-Nunchuk“ braucht? Laut „FÜRspieler“ nicht, denn man kann ja auch den normalen Sony PS3 Controller nehmen! Eine Erklärung wie man mit einer Hand an diesem Controller sowohl den Analogstick als auch die Buttons bedienen soll bleibt man bisher aber schuldig.
  • Um auch ja kein Risiko beim Ergebnis eines solchen Vergleiches einzugehen bietet sich natürlich auch die Auswahl besonders „geeigneter“ Testkategorien an – So vergleicht man in Hamburg das komplett Controllerlose Kinect mit dem Move Controller natürlich im Punkt „Haptik (=wie liegt der Controller in der Hand) und Feedback, verzichtet aber auf die Kategorie „Bewegungsfreiheit“ – Sehr einleuchtend.

Das am Ende der Sony Controller als klarer Sieger hervorgeht verwundert bei solch „neutraler“ Auswahl eher weniger.
Um eines klarzustellen: Das soll kein Bashing gegen Sonys Move sein (auch wenn ich es persönlich immer noch für einen Leuchtdildo halte), Move bekommt auch sein Fett weg, aber der Vergleich eines direkt vom Konzept der Wii abgeleiteten Controllers mit dem völlig anders ausgelegten Kinect ist sinnlos und dient lediglich der Meinungsmache.

Wer von diesem klaren Votum gegen Kinect noch nicht überzeugt ist kann sich das ultimative Argument im eigens produzierten Video zu Gemüte führen: Unspielbar dank Verzögerung der Bewegungsumsetzung!

Gibt es doch tatsächlich Verzögerungen von teilweise 0,3-0,5 Sekunden! O,3 bis 0,5!!!einseinself! Um dies zu verdeutlichen bemüht sich „FÜRspieler“ um einen sehr interessanten Vergleich: Das ist ein Ping von 300 bis 500 ms bei Shootern! Schade nur das man Shooter bei Kinect bisher vergebens sucht und diese Verzögerung bei den bisherigen Spielen kaum bis gar nicht zu merken ist.

Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass man beim Zählen der Frames der Verzögerung auch nicht so ganz genau nimmt.  Anstatt nämlich die wirklichen Frames der Verzögerung zu zählen zählt man die Frames vom Beginn der Bewegung des Spielers bis zum Ende der Aktion auf dem Bildschirm, bei Kinect Sports beim Boxen also vom Ausholen des Spielers bis der Schlag des Avatars den Gegner trifft. Das nennt man doch mal Qualitätsjournalismus Made in Germany.

Es ist schon erschreckend und enttäuschend wie ein großes Spieleportal das sich kritischen und ehrlichen Journalismus auf die Fahnen geschrieben hat jegliche Möglichkeiten und  jeglichen positiven Aspekt eines Produktes wie Kinect ausblendet und mit höchst zweifelhaften Maßnahmen versucht als besonders Hart und „Core“ dazu stehen. Es scheint, dass der persönliche Kleinkrieg der Redakteure mit dem österreichischen Publisher Jowood nicht mehr genügend Klicks generiert, sodass man fehlende Leser die mitverfolgen wollen wie Arcania zur Schlachtbank geführt wird anderweitig generieren muss.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch wir bei inside-360 hätten gerne den einen oder anderen großen Titel mit Kinect Unterstützung zum Start gesehen (Fable 3, ich gucke in deine Richtung) oder hätten gerne unsere 360 über Spracheingabe gesteuert. Der ein oder andere Redakteur verweigert sich auch dem „Zappeltrend“ und bleibt dem herkömmlichen Controller treu. Aber zwei Sachen darf man nicht ausblenden:

  • Zum einen die Möglichkeiten die Kinect zukünftig bietet. Stellt euch ein Ghost Recon vor das ihr zwar mit dem Controller steuert, das aber eure Handbewegungen zusätzlich umsetzt, ein lautloses „Stopp!“ im Multiplayer per gehobener Hand oder das Drücken eines Knopfes im Cockpit eines Renn oder Flugspiels zusätzlich zum normalen Controller erweitern die bisherigen Möglichkeiten eines solchen Spieles und führen nicht zum Untergang der großen Spiele.
  • Zum anderen hat Nintendo mit der Wii sowohl Microsoft als auch Sony eindrucksvoll gezeigt an wen man alles eine Konsole verkaufen kann, natürlich wollen beide ein Stück vom Kuchen abhaben. Das dies nicht zwangsläufig auf Kosten der angestammten Spieler geschehen muss und den Untergang des „ernsthaften Gamings“ bedeutet haben beide dieses Jahr eindrucksvoll bewiesen: Mit Alan Wake, Halo: Reach und Fable 3 sind trotz bevorstehendem Kinect Launch drei große und Qualitativ sehr gute Spiele von Microsoft erschienen, Sony bietet mit God of War 3, Gran Turismo 5 und Heavy Rain nicht weniger exklusive Spieler für den „Core Gamer“ (letzteres sogar mit Move Unterstützung).

Die Frage, ob man Kinect braucht oder nicht muss letzten Endes jeder selber beantworten: Sind mir die neue Steuerungserfahrung und einige lustige Bewegungsspiele die es momentan  gibt das Geld wert? Wer diese Frage mit ja beantwortet sollte zugreifen, wer nein sagt muss Kinect nicht kaufen und wird es eventuell sogar nie müssen – Nur die Entscheidung sollte die Spielepresse dem Leser durch eine kritische und möglichst neutrale Berichterstattung ermöglichen und keinesfalls durch eine reißerische und teilweise falsche Berichterstattung abnehmen.


11. November 2010 | Autor: Stargaze